Interview mit HFV-Verbandsspitze: „Wir wollen für die Basis und die Kreise da sein“

23. Dezember 2022 · Top-News · von: mag

Vizepräsidentin Prof. Dr. Silke Sinning und Schatzmeister Jörn Metzler haben das Schiff Hessischer Fußball-Verband übernommen und möchten nach vorausgegangenen personellen Turbulenzen wieder Ruhe und Sachlichkeit einkehren lassen. Im Gespräch mit dem HESSEN-FUSSBALL berichten die beiden von ihren ersten Schritten und künftigen Zielen.

Foto: Frühwirth

Hallo Frau Sinning, hallo Herr Metzler, wie verlief die Eingewöhnung in Ihre neue Position innerhalb des Hessischen Fußball-Verbandes?
Sinning:
Da ich schon einige Jahre Präsidiumsmitglied bin, war der Rollenwechsel nicht all zu groß. Ich konnte schon beobachten, welche Aufgaben Präsidenten, Vizepräsidenten und Schatzmeister zufallen. Die Eingewöhnung bestand eher darin, dass wir beide uns intensiv abgesprochen haben, bezüglich der Vorgehensweise und der ersten Schritte. Auch, dass wir nach Außen signalisieren, dass wir die Aufgaben als Duo gemeinsam angehen.
Metzler: Die Aufgabe des Schatzmeisters  an sich ist nicht zu sehr abweichend von meiner beruflichen Aufgabe (Geschäftsführer Finanzen eines Industrieunternehmens, die Red.). Für mich persönlich war es eher spannend, nach zehn Jahren als Kreisfußballwart im Verbandsvorstand ins Präsidium zu kommen und mich noch tiefer gehend in die einzelnen Bereiche einarbeiten zu können. In diesem Zuge möchte ich der Geschäftsstelle und insbesondere Marta Meyer, Benjamin Koch und Nicolas Fink ein großes Lob und Dankeschön aussprechen, wenn es darum ging, bestimmte Prozesse zu beschreiben und zu erklären.

Sie sind Vizepräsidentin und Schatzmeister. Ist der Hessische Fußball-Verband auch ohne Präsident komplett handlungsfähig?
Sinning:
Wir fühlen uns handlungsfähig und sind in der Arbeitsumsetzung strukturiert. Wir haben die bisherigen Aufgaben nun auf zwei Personen verteilt und um Unterstützung der weiteren Präsidiumsmitglieder gebeten. Aber natürlich sind die Aufgaben eine große Herausforderung, die zu dritt anders zu bewerkstelligen wäre. Wichtig ist aktuell, dass wir einen guten Fahrplan bis zum Verbandstag 2024 entwerfen und die Themen in Angriff nehmen, die aufgrund der Personaldiskussionen geruht haben. Das ist eine echte Herausforderung, den Personengruppen mit ihren jeweiligen Themen gerecht zu werden.
Metzler: Ja, handlungsfähig sind wir auf jeden Fall. Für uns war es wichtig, dass wir die aktuellen, zentralen Themen von der Verantwortlichkeit her aufteilen und gemeinsam angehen. Dahingehend haben wir in Abstimmung mit dem Präsidium und dem Hauptamt aufgezeigt, wie wir uns den Weg bis zum Verbandstag 2024 vorstellen. Es sind natürlich sehr viele Termine und Aufgaben, die einen zeitlich an eine Grenze bringen. Aber wir sind zuversichtlich,  bis zum Verbandstag 2024 die uns gestellten Aufgaben mit der Unterstützung aller Gremien bewältigen zu können. Dabei ist es wichtig, dass es in vernünftigen Bahnen verläuft, ohne die leidigen Personaldiskussionen der letzten Monate.

Inwiefern haben die Rücktritte von führenden Positionen Ihre Tätigkeit beeinflusst?
Sinning:
Grundsätzlich hat jeder seine inhaltlichen Vorstellungen. Jörn und ich treten nicht in die Fußstapfen unserer Vorgänger, sondern wollen unsere eigenen Fußstapfen hinterlassen. Ich finde wichtig, dass jeder seine Persönlichkeit sowie Kompetenzen einbringt und seine Ideen und Vorstellungen verwirklichen kann. Man kann aus den Dingen, die geschehen sind, lernen, sie reflektieren, die positiven Impulse von Vorgängern mit aufnehmen und überlegen, was in welcher Konstellation in Angriff genommen werden kann. Deswegen sprechen wir uns intensiv ab. Man muss sich der neuen Situation stellen und seinen Input hineingeben. Wir haben mit den beiden Geschäftsführern eine kleine Runde, in der wir uns schnell inhaltlich austauschen und tagesaktuelle Themen abarbeiten können. Gemeinsam gehen wir unsere ersten Schritte und nehmen gerne inhaltlich kritisch konstruktive Anstöße auf, was und wie man etwas besser machen kann.
Metzler: Bei mir war die Situation noch etwas anders, da ich vom damaligen Vizepräsidenten Torsten Becker angesprochen wurde, ob ich als Schatzmeister fungieren könnte. Dass ich nach weiteren 4-5 Wochen alleine dastand, war keine einfache Situation. Es geht um Fußball und unsere Vereine und es ist immer schwierig, wenn Personalfragen die Sachfragen überlagern. Da ist es wichtig, viele Leute mitzunehmen und keine Alleingänge entrückt von der Basis zu machen. Für uns ist die Basis immer noch das Wichtigste und der sind wir es schuldig, schnellstmöglich auf Sachthemen zurück zu kommen.

Sie sind aktuell in den hessischen Fußballregionen unterwegs, was passiert dabei genau?
Sinning:
Wir hatten uns beide überlegt, dass wir mit den Regionen intensiver in den Austausch kommen und erfahren wollen, was deren Wünsche, Bedürfnisse, Probleme und Herausforderungen sind. Wir haben jede Region mit den jeweiligen Kreisfußballwarten eingeladen und mit Blick auf die Haushaltssituation auch die Kreiskassenwarte dazu gebeten. Hier konnten wir unsere Vorstellungen erklären, wie wir inhaltlich und organisatorisch zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren wollen. Aus Präsidiumssicht haben wir bereits wichtige Themen wie die Spielklassenstruktur und Gebietsstrukturreform sowie den Masterplan, die Grünberger Erklärung identifiziert. Außerdem die Umsetzung des Trainerpasses, die uns aktuell vor Herausforderungen stellt. Auch wie wir Präsidiums- und Vorstandssitzungen effektiver gestalten können, sollte Thema sein. Vielleicht ist dieses Format, ein inhaltlicher Austausch innerhalb der Regionen, auch eine zukunftsfähige Variante, unterschiedliche Themen intensiver zu diskutieren. Wir sollten die gegebenenfalls mit anderen Themen und verantwortlichen Personen aus dem Präsidium fortführen. Wir wollen für die Basis und die Kreise da sein.
Metzler: Für Silke und mich war es wichtig, dass wir nach den doch sehr unruhigen letzten Monaten Kontakt mit jeder Region aufnehmen, um die aktuelle Stimmungslage einzufangen. Zusätzlich ist es auch wichtig, außerhalb der in größerem Rahmen stattfindenden Sitzungen des Verbandsvorstandes sich in kleineren Gruppen auszutauschen. Kritik jeglicher Art war dabei ausdrücklich gewünscht.

Welche Themen sind Sie bereits angegangen oder werden Sie in naher Zukunft bearbeiten?
Sinning:
Wir hatten direkt die Herausforderung des süddeutschen Verbandstages. Hier mussten wir uns sortieren, eine Sitzung mit den Delegierten veranstalten, auf Veränderungen aufmerksam machen und unsere Positionen darlegen. Auch weitere Positionen – beim DFB und beim Landessportbund – mussten durch uns besetzt und die Aufgaben verteilt werden. Im Präsidium und in den Regionen haben wir zentrale Themen gesammelt. Die Satzungskommission müssen wir in den Blick nehmen. Wir haben immer genügend Aufgaben, die ad hoc anstehen, aber gleichzeitig die Idee, dass wir frühzeitig Themen angehen, die mittel- und langfristig bearbeitet werden sollten. Diese Schwerpunkte müssen wir passend gewichten. Und dabei sollten wir noch erwähnen, dass in eineinhalb Jahren eine Fußball-Europameisterschaft ansteht, zu der wir auch etwas beitragen möchten und in deren Zuge es Themen zu bearbeiten gilt.
Metzler: Ein Schwerpunkt für mich war, die personelle Situation in der Geschäftsstelle mit den beiden Geschäftsführern Benjamin Koch und Nicolas Fink zu erörtern und im Zuge dieser Diskussion, dass wir die Abteilung Spielbetrieb  personell seit Oktober verstärken konnten. Das war mir sehr wichtig. Wir schauen uns  alle Bereiche an und prüfen aktuell, wie wir beim lange vernachlässigten Thema Digitalisierung sinnvolle Schritte für die Zukunft einleiten können. Das ist auch wichtig für unsere Vereine, als Dienstleister müssen wir uns an aktuelle Gegebenheiten anpassen.
Die Erstellung des Haushaltsplans 2023 zusammen mit dem Bereich Finanzen und die Verhandlungen über eine neue Tarifvereinbarung waren weitere zentrale Themen der ersten Monate, die sehr zeitintensiv waren.

Wo möchten Sie Schwerpunkte setzen?
Sinning:
Wir haben Dinge wie den Trainerpass identifiziert, so dass wir in diesem Punkt für die nächste Saison handlungsfähig sind. Wir haben die Europameisterschaft mit der Kooperation von Schulen und Vereinen im Blick. Den Schiedsrichterbereich mit Blick auf die Neugewinnung von Schiedsrichter*innen aber auch mit weiteren Maßnahmen gegen Aggression und Gewalt dürfen wir nicht vernachlässigen und die positiven Entwicklungen, die sich gerade im Frauen- und Mädchenfußball im Spitzenbereich aufzeigen, müssen wir auch auf den HFV übertragen oder eigene Wege finden. Zu weiteren Themen wie die Schwerpunkte des Masterplans werden wir uns innerhalb des Präsidiums noch verständigen. Das möchten wir nicht allein bestimmen, es soll eine gemeinsame Richtung des Präsidiums sein. Denn bei allen Themen sollten wir alle gemeinsam agieren und aktiv werden.
Metzler: Versprechungen von Umsetzungen zu machen ist schwierig. Mir geht es darum, dass ich dafür Sorge trage, dass wir in punkto Finanzen im Hessischen Fußball-Verband auf sauberen Füßen stehen. Das ist meine ureigene Aufgabe. Dabei haben wir mit dem Thema Energiekrise – besonders wenn man an unsere Sportschule und dem Sporthotel in Grünberg denkt – relativ dicke Bretter zu bohren. Wie können wir außerdem unsere Vereine bei diesen Fragen – vielleicht mit Hilfe der Politik – unterstützen? Das sind aktuelle Themen, die wir bearbeiten müssen und die uns ein Stück weit auch unsere Aufgaben vorgeben. Ein weiterer Schwerpunkt ist es, Ruhe in den Verband zu bringen. Es wäre eine wunderbare Sache, wenn wir in eineinhalb Jahren sagen können: ‚Wir haben über Themen gesprochen, nicht über Personen.‘

Kann der HFV Vereinen, die die gestiegenen Energiekosten das Leben erschweren, unter die Arme greifen?
Metzler:
Man kann Vereinen in vielschichtiger Weise helfen. In Corona-Zeiten haben wir bestimmte Abgaben nicht von Vereinen eingezogen, weil wir diese entlasten wollten. Auf der anderen Seite ist es gerade aufgrund politischer Entscheidungen schwierig, ein Paket zu schnüren. Es kristallisiert sich aber heraus, dass wir durch die Gas- und Strompreisbremse alle - Vereine und Privatpersonen – eine Entlastung haben werden. Wir sind unter der Federführung  des  Landessportbundes in einem engen und konstruktiven Austausch mit dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Ich bin kein Fan von einer Verteilung im Gießkannenprinzip. Über entstandene Probleme von Vereinen muss man offen reden und ich bin zuversichtlich, dass wir Lösungen dafür finden.
Sinning: Das ist auch kein ureigenes Problem, welches nur die Fußballvereine betrifft. Deswegen muss man sich da solidarisch mit anderen Fachverbänden zeigen und über unseren Verband hinweg Lösungen finden, über den Landessportbund oder die Politik. Es ist wichtig, sich darüber auszutauschen und einen gemeinsamen Weg einzuschlagen.
Metzler: Es gibt auch bereits Ansatzpunkte über den Landessportbund, wie beispielsweise den Ökocheck durch Energieberater zum Energiesparen. Es ist wichtig, dies zu kommunizieren, da solche Hilfen häufig nicht bekannt sind.

Was möchten Sie der hessischen Fußball-Familie zum Jahresabschluss mit auf den Weg geben?
Sinning:
Ich möchte den Vereine und deren Verantwortliche Danke sagen, da es in den letzten Jahren ziemlich schwierig war, die vielen zusätzlichen Aufgaben im Verein zu meistern. Die Vereinen wurden vor große Herausforderungen gestellt, ob im Umgang mit Corona oder die aktuelle Energiekrise. Ich wünsche mir, dass es allen wieder besser geht und ich hoffe, dass wir ein entspannteres Jahr 2023 vor uns haben.
Metzler: Auch ich möchte vielen Dank an die Basis sagen, an die Vereine, an die Kreise, die einen tollen Job machen, die die Arbeit vor Ort machen und das ganze System am Laufen halten. Wenn ich sehe, dass wir jetzt wieder steigende Zahlen an fußballspielenden Kindern und Jugendlichen haben, möchte ich meinen Hut ziehen vor jedem Trainer, jedem Platzwart und jedem Schiedsrichter und allen, die sich Tag für Tag für den hessischen Fußball engagieren. Mein Wunsch für das nächste Jahr ist, dass die Sachthemen im Vordergrund stehen und wir nicht negative Schlagzeilen über personelle Themen des HFV lesen müssen. Darüber hinaus wünsche ich allen Gesundheit und dass wir uns irgendwo auf den Sportplätzen Hessens wiedersehen.

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