Interview Grün-Weiss Bornheim, Teil 2: „Ein Ort der Begegnung“

26. Dezember 2023 · Top-News · von: mag

Im November wurde der SG Bornheim Grün-Weiss der Julius-Hirsch-Preis verliehen, was beileibe nicht die einzige Auszeichnung für diesen vielfach engagierten Verein darstellt. Der HESSEN-FUSSBALL hat sich mit Dr. Harald Seehausen und Jürgen Holzapfel aus dem geschäftsführenden Vorstand getroffen, um über diesen besonderen Verein zu sprechen. Nach dem gestrigen ersten Teil folgt heute der zweite Teil des Interviews.

Foto: Verein

Kann das Kinder- und Familienzentrum eine Kinderbetreuungseinrichtung ersetzen?
HS: Das ist nur bedingt der Fall, weil wir nicht in diesem Maße über ausgebildete pädagogische Fachkräfte verfügen. Entweder sind es Personen, die auf dem Weg in eine Erzieher*innenausbildung oder sie haben sehr viel praktische Erfahrung in der Kindererziehung und bilden sich darin weiter. Wir treffen uns auch regelmäßig zu Teamgesprächen. Wir haben zum Beispiel eine Veranstaltung von geistig und körperlich beeinträchtigten Kindern, die von zwei jungen Männern betreut werden, die sich in einer Ausbildung zum Erzieher befinden.
JH: Das Haus ist auch sehr variabel nutzbar, zum Beispiel für Elternversammlungen oder Spielersitzungen. Auch die Schiedsrichter des Kreises Frankfurt kommen hierher, absolvieren einen Unterricht und schauen anschließend gemeinsam Bundesligaspiele.

Auch vor dem Hintergrund der Frankfurter Buchmesse haben Sie sich etwas Besonderes ausgedacht…
HS: Wir haben Kinderlesungen in Kooperation mit der DFB-Kulturstiftung in unseren Räumen durchgeführt, das wurde auch in der Sportschau übertragen. Das sind diese Sachen, die man mit viel Fantasie und Kreativität erreicht. Am Ende bekamen alle Kinder Kinderbücher, gespendet vom Deutschen Fußball-Bund. Und abends spielten die Autoren-Nationalmannschaften Norwegens bzw. Spaniens (damals Gastländer der Buchmesse) gegen Deutschland. Als Trainer waren Otto Rehhagel und Volker Finke dabei und der Sportplatz war proppenvoll.

Fußballprominenz war auch schon vorher hier vertreten…
JH: Ja, 2006 wurde in unserem Vereinsheim der Kader für die Heim-Weltmeisterschaft verkündet. Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff waren hier und die Kinder haben das 23er Aufgebot vorgelesen. Seitdem habe wir eine gute Verbindung zum DFB und bekommen häufiger Anfragen. Und meistens sagen wir „ja“

Bei derart vielen Aktivitäten fragt man sich, ob hier denn überhaupt auch Fußball gespielt wird.
HS: Wir sind mehrere Male in den letzten zehn Jahren aufgestiegen.
JH: In der letzten Saison haben wir die Relegation zur LOTTO Hessenliga gespielt und in der 94. Minute ein Gegentor kassiert. So haben uns 40 Sekunden zum Aufstieg in die höchste HFV-Spielklasse gefehlt. Auch mit der zweiten Mannschaft haben wir die Relegation gespielt. Es ging um den Aufstieg in die Gruppenliga, das hat aber leider auch nicht geklappt. In den Seniorenmannschaften sind wir bei einem Anteil von 65 Prozent aus der eigenen Jugend, wir waren aber auch schon bei 80 Prozent.

Was halten Sie von den neuen Formen des Kinderfußballs?

Wir spielen die Spielform Funino als einer der ersten Vereine schon seit eineinhalb Jahren. Es gab Widerstände, aber wir haben den Eltern erklärt, dass die Kinder auch gegeneinander spielen und Tore erzielen und wesentlich mehr spielen als in der herkömmlichen Form. Die Kinder sind begeistert und wollen nichts anderes mehr spielen.
HS: In der Kombination von Funino mit Fairplay sind wir sehr engagiert und haben in der Jugendabteilung ein Konzept aus Sicht der Trainer, der Eltern und der Kinder entwickelt. So wird ein anderes Spielverständnis und eine andere Form der Fairness entwickelt. Natürlich gibt es Widerstände. Wenn ich als erwachsener Trainer zwanzig Jahre elf gegen Elf gespielt habe und vielleicht zwei oder drei Spieler auf der Ersatzbank waren, dann ist man mit einigen Dingen nicht einverstanden.

Schlägt sich Euer Engagement auch in den Anmeldezahlen nieder?

JH: Wir können aktuell nur noch passive Mitglieder aufnehmen. Wir haben 26 Mannschaften und nur einen Fußballplatz, aber 80 Interessierte auf der Warteliste. Auch die Verleihung des Julius-Hirsch-Preises trägt dazu bei. Wir waren in der HR-Hessenschau, bei RTL, Sky und sogar im italienischen Fernsehen zu sehen. Auch Sponsoren melden sich bei uns bezüglich einer Zusammenarbeit. Gerade haben wir wieder einen Partner gefunden, der unseren Mitgliedern Praktikums- und Ausbildungsplätze anbietet.

Was sollte Hauptintention eines (Fußball-)Vereins sein?
HS: Es sollte ein Ort der Begegnung und des Austausches sein. Ein Ort der Toleranz, wo unterschiedliche Wertvorstellungen und Religionen akzeptiert werden. Wichtig sind gute Trainingsqualität, Kinder- und Familienfreundlichkeit und ein Sportverein muss sich in Zukunft in den Stadtteil, in das Gemeinwesen oder das Dorf öffnen und ein Bildungs- und Betreuungsort sein.
JH: Kinder- und Familienfreundlichkeit ist unser großes Thema, dass sich die Eltern auch am Wochenende auf die Bank setzen und abschalten und den Kindern beim Rumtollen zuschauen können. Wir haben ein offenes Gelände, hier können sich die Kinder frei bewegen.

Ist dieses Modell als Musterbeispiel auf andere Vereine übertragbar?
JH: Nein, im Ganzen ist das nicht möglich. Wir haben eine besondere Struktur als Randgebiet einer Großstadt. Bei Ortsvereinen sieht das wieder anders aus.
HS: Man kann Elemente oder Bausteine daraus nehmen und bestimmte Projekte durchführen und unter anderen Bedingungen ausprobieren. Man kann voneinander lernen und wir lernen auch von anderen Vereinen. Es ist ja nicht so, dass wir die Einzigen mit guten Ideen sind.

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