Interview Grün-Weiss Bornheim, Teil 1: „Ein Ort der Begegnung“

25. Dezember 2023 · Top-News · von: mag

Im November wurde der SG Bornheim Grün-Weiss der Julius-Hirsch-Preis verliehen, was beileibe nicht die einzige Auszeichnung für diesen vielfach engagierten Verein darstellt. Der HESSEN-FUSSBALL hat sich mit Dr. Harald Seehausen und Jürgen Holzapfel aus dem geschäftsführenden Vorstand getroffen, um über diesen besonderen Verein zu sprechen.

Dr. Harald Seehausen (li.) und Jürgen Holzapfel bei der Preisverleihung mit Celia Sasic. Foto: getty images

Hallo Herr Dr. Seehausen und Herr Holzapfel, was können Sie von der Verleihung des Julius-Hirsch-Preises berichten?
JH: Das war ein wahnsinnig schönes Event. Wir durften die Familie Hirsch persönlich kennen lernen, die mit Enkel und Urenkel vor Ort waren. Es sind ganz tolle Menschen, mit denen wir gute Gespräche führten. Auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf war dabei, der sich nicht nur für unser Projekt, sondern auch für uns als Menschen interessiert hat. Wir haben auch die anderen Preisträgermannschaften kennen gelernt, das war sehr interessant. Zudem war viel politische Prominenz anwesend.
HS: Wir waren mit einer bunt gemischten Gruppe von zehn Personen bei der Preisverleihung, das gehört einfach zu unserem Stil. Bei der Veranstaltung wurde auch Christian Streich ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Matthias Brandt, der Sohn von Willy Brandt, das war eine außergewöhnlich eindrucksvolle Rede.

Wofür genau wurde Ihnen dieser Preis verliehen?
JH: Es geht um die Vielzahl unserer sozialen Projekte, speziell die Flüchtlingsarbeit. Diese begann zu Zeiten des Bosnien-Krieges, als wir uns erstmals mit diesem Thema beschäftigt haben.
HS: Dem gingen noch die sogenannten „Gastarbeiter-Kinder“ aus Italien und der Türkei und die Spätaussiedler voraus. Damals wurde man zum ersten Mal für Fragen der Migration sensibilisiert.
JH: Richtig aktiv wurden wir nach dem ersten Schub aus Syrien und Afghanistan 2015/2016. Wir haben den unbegleiteten Jugendlichen mit „Skyline Soccer“ direkt Sportangebote gemacht. Wir wurden auch nach einem Futsal-Angebot gefragt und haben das realisiert. Wir haben mit 20 Jugendlichen eine Futsalmannschaft gegründet, die sogar Hessenmeister wurde. Von diesen 20 Jugendlichen haben wir übrigens mindestens 90 Prozent in eine Ausbildung oder berufliche Tätigkeit überführen können.

Wie haben Sie das geschafft?
HS: Wichtig ist dabei auch, dass wir berufliche Verbindungen haben, so dass wir den jungen Menschen auch über den Fußball hinaus helfen können, was ihre Ausbildung und berufliche Existenz betrifft. Dieser Punkt ist auch sehr wichtig im Rahmen unserer Auszeichnungen. Zuerst erfolgt die Aufnahme mit unheimlich viel Arbeit, Finanzmittel über Stiftungen besorgen und so weiter. Aber es geht auch immer um eine Kontinuität in Richtung Schule und Beruf. Wir wollen eine Öffnung des Sportvereins als einen Ort im Stadtteil. Hier können wir unsere unterschiedlichen Fähigkeiten einbringen.
JH: Wir sind nicht nur auf unsere Sportplatzgrenze beschränkt. Vor einigen Jahren kam ein Vereinsmitglied auf mich zu und fragte, ob wir uns vorstellen können, in seinem Herkunftsland Benin – einem afrikanischen Land zwischen Togo und Nigeria - eine Fußballschule aufzubauen. Und das war genau unser Thema, weil wir die Flüchtlingsarbeit dahingehend ausbauen wollten, dass wir in die betreffenden Länder gehen und das Thema Bildungsgerechtigkeit angehen, eine Arbeitsstelle finden und gar nicht auf den Gedanken kommen, flüchten zu müssen.

Wie kam dieser Aufbau dieser Soccer Academy Bassilia zustande?
Unser Mitglied ist vor elf Jahren von dort mit seinen beiden Kindern zu uns gekommen und hat gefragt, ob man hier Fußball spielen kann. Wir haben ihn mit offenen Armen aufgenommen. Mittlerweile koordiniert er die Soccer Academy zwischen Deutschland und Benin. Wir kümmern uns hier und die Stiftungsarbeit und Fördermittelbeschaffung.

Wie lief das ab?
JH: Im ersten Schritt haben wir 25 Kinder aufgenommen. Aufnahmekriterien waren, dass die Kinder fußballbegeistert sind und deren Eltern sich den Schulbesuch, der Geld kostet, nicht leisten können. Die 25 Jungs können dort übernachten, essen und zur Schule gehen. Fußball ist nachmittags angesagt. Wir zahlen Schulgeld. Essensgeld und besorgen auch die Ausrüstung. Wir haben drei Trainer, eine Köchin und eine Sicherheitskraft eingestellt. Diese werden aus den Fördermitteln bezahlt.
JH: Da das Prozedere so gut gelaufen ist, haben wir beschlossen, das Konzept zu erweitern und 20 Mädchen aufzunehmen. Dafür haben wir ein weiteres Gebäude angemietet, die Trainer können Jungs und Mädchen abdecken.

Kinderarmut ist leider weit verbreitet…
HS: Im Rahmen einer Elternbefragung stellten wir zu unserem Erstaunen fest, dass wir sehr viele Kinder mit Armutshintergrund haben. Wir haben daraufhin einen Vorstandsbeschluss zur Beitragsfreiheit gefasst. Darüber hinaus versuchen wir durch Förderungen diesen Kinder entsprechende Bildungsangebote zu offerieren. Wir haben auch ein Sprachcafe bei uns im Hause in Kooperation mit der Familienbildung. Es geht auch immer darum, die Personen in Asylfragen oder beruflichen Themen zu beraten.

Wer kümmert sich darum, sind das Ehrenamtliche aus dem Verein oder externe Kräfte?
HS: Das ist eine Mischung. Wir haben im Hause ein buntes Team von Menschen aus vielen Ländern mit sozialpädagogischem Hintergrund. Wir haben auch die FSJ-Stelle über die Sportjugend Hessen mit begleitet. Es ist unsere Aufgabe, die Türen zu öffnen, mit Schule, Kita, Arbeitsplätzen und so weiter. Wir haben auch Verbindungen zum Jobcenter, wo Menschen eine Arbeit finden, dadurch, dass sie hier Praktika absolvieren und Förderzusagen, dass diese Personen in einer Kita arbeiten können. Wir haben auch viele Studierende, die an Praktika interessiert sind, um neue Erfahrungen zu sammeln. In Zukunft wird der Breitensport auch mit seinem Ehrenamt von 1-2 professionellen Leuten in Vereinen begleitet werden müssen.
JH: Aktuell haben wir nur einen fest angestellten Mitarbeiter und das ist unser Platzwart.

Teil 2 des Interviews folgt am morgigen 2. Weihnachtsfeiertag.