Flüchtlinge im Verein - Ribler: "Win-win-Situation"

28. Juli 2016 · Masterplan · von: Thomas Hackbarth

Julius Hirsch-Preisträgerin Angelika Ribler mit IOC-Präsident Dr. Thomas Bach. Foto: getty images


Die Diplom-Psychologin und Julius Hirsch-Preisträgerin Angelika Ribler leitet bei der Sportjugend Hessen das Landesprogramm "Sport und Flüchtlinge". Sie betreut damit Vereine in rund 200 hessischen Gemeinden, bei denen immer mehr Flüchtlinge Fußball spielen. In der kommenden Woche wird der Deutsche Fußball-Bund (DFB) neue Zahlen zum deutlichen Anstieg der ausländischen Spielberechtigungen in ganz Deutschland vorstellen. Angelika Ribler erklärt im Interview mit FUSSBALL.DE, worauf man als Verein bei der Aufnahme von Flüchtlingen achten sollte.


Frau Ribler, haben Sie die Gewalttaten von Flüchtlingen bei Ihrer Arbeit verunsichert?
Angelika Ribler: Verunsichert bin ich durch die Taten nicht, durch die Art des Umgangs damit schon. In den sozialen Netzwerken werden binnen Minuten Bilder und Kommentare gepostet. Dabei wird vieles durcheinandergeworfen und die Angst vor Flüchtlingen geschürt. Aber klar ist auch: nicht wenige der jungen Männer, die nach Deutschland flüchten und in unsere Sportvereine kommen, sind in der Tat traumatisiert. Einige zeigen Verhaltensweisen, die auch ich nicht einordnen kann.


600 Vereine wollten der DFB und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung aufgrund ihrer Flüchtlingsangebote fördern. Binnen eines Jahres meldeten sich mehr als 2000 Vereine an. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Ribler: Wir haben 2014 mit der Sportjugend Hessen und unterstützt von drei hessischen Kommunen das Modellprojekt "Sport und Flüchtlinge" auf den Weg gebracht. Seit 1. Januar wird diese Idee in der Fläche umgesetzt, das Hessische Ministerium des Innern und für Sport stellt hierfür ein Budget von 2,4 Millionen Euro bereit. Mittlerweile nehmen fast 200 hessische Städte und Gemeinden am Programm teil.


Wie viele Flüchtlinge werden so über den Sport integriert?
Ribler: Angenommen jeder Ort hat nur eine Sportgruppe mit Flüchtlingen aufgemacht oder auch nur einzelne Flüchtlinge in bestehende Sportgruppen integriert, dann kann man ja hochrechnen, wie viele tausende Flüchtlinge inzwischen alleine in Hessen organisiert Sport treiben. Aus Perspektive der Flüchtlinge ist Sporttreiben hochattraktiv. Man lernt Deutsch, man findet Anschluss, man entkommt der Langeweile der Flüchtlingsunterkunft.


Und aus Sicht der Sportvereine?
Ribler: Zu Beginn der phasenweise hohen Flüchtlingszahlen waren viele Vereine ratlos, nicht jeder Vereinsvorsitzende wusste, wen er wie im Asylbewerberheim ansprechen soll. Inzwischen hat der organisierte Sport sehr viel dazugelernt. Und es wurden Strukturen geschaffen: Im Landesprogramm engagieren sich fast 300 so genannte 'Sport-Coaches', um den Kontakt zwischen Flüchtlingen, Sportvereinen und anderen Netzwerkpartnern in den Städten und Gemeinden herzustellen.


Das Projekt wurde auch inhaltlich weiter ausgebaut.
Ribler: Genau, es gibt über das Landesprogramm hinaus weitere Aktivitäten. Der Hessische Fußball-Verband wird noch in diesem Jahr in seinen 32 Fußballkreisen Jugendbetreuerlehrgänge mit Sprachunterstützung für Flüchtlinge durchführen. In der Praxisphase unterstützen die Flüchtlinge dann die Jugendtrainer in den Vereinen. Eine Win-win-Situation: Sportvereine brauchen dringend Ehrenamtliche und Flüchtlinge möchten sich engagieren. Die Bundeszentrale für politische Bildung und die DFB-Kulturstiftung fördern diesen nächsten Schritt der Engagementförderung von Flüchtlingen. Wir haben ein Curriculum und didaktische Materialen entwickelt. Neben den fußballspezifischen Inhalten und Methoden wird so Wissen über Demokratie und unsere Werte in Deutschland vermittelt.


Die Pilotphase von "Sport und Flüchtlinge" wurde wissenschaftlich begleitet. Welche Erkenntnisse wurden gewonnen?
Ribler: Wir wissen daraus, dass Flüchtlinge sich einbringen möchten, sie wollen die Sprache lernen und vor allem wollen sie raus aus den Sammelunterkünften. Aber es braucht eine Transferleistung, weil viele zunächst nicht verstehen, was wir unter Ehrenamt und Engagement verstehen. Niedrigschwellige Qualifizierungen sind gut geeignet, um den Weg in die Vereine zu ebnen.


Besteht nicht die Gefahr, dass sich der kleine Sportverein übernimmt?
Ribler: Diese Gefahr besteht nur dann, wenn ein Sportverein nicht seine Netzwerkpartner kennt. Der Sportcoach im hessischen Projekt weiß ganz genau, wo sich der Verein Hilfe organisieren kann. Oft können die Sozialarbeiter der kommunalen Asylbetreuung oder auch die vielen Freiwilligen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, weiterhelfen. Überfordert ist ein Verein nur dann, wenn er davon ausgeht, er müsste alle Probleme selbst lösen, und wenn er das Netzwerk und seine vielen Unterstützer nicht kennt.


Haben Sie erlebt, dass ein Flüchtling ein Trainerin oder Schiedsrichterin abgelehnt hat?
Ribler: Persönlich nicht, aber ich habe von solchen Fällen gehört.


Was würden Sie einem Verein raten, wenn sich so eine Situation ereignet?
Ribler: Zunächst sollte man versuchen, Sportgruppen mit gleichgeschlechtlichen Trainern oder eben Trainerinnen anzubieten. Wenn dies nicht gelingt und ein Flüchtling eine Frau als Trainerin oder Übungsleiterin ablehnt, dann kann er eben nicht mitmachen.


Was können Vereine tun, wenn sie unsicher sind, ob sich ein junger Flüchtling, der im Verein Fußball spielt, radikalisiert hat?
Ribler: Wenn man den Verdacht hegt, ob als Eltern oder auch als Trainer, dass ein junger Mann zunehmend extreme Ansichten vertritt, gibt es auch für diese Situation Beratungs- und Präventivangebote, wie zum Beispiel bei uns das 'Violence Prevention Network'. Entscheidend ist: man sollte als Verein sich einen Überblick über Anlaufstellen verschaffen. In Hessen hilft der kommunale 'Sport-Coach' - das Modell könnte aber leicht auch auf andere Bundesländer übertragen werden.


Nähere Auskünfte zu diesem Thema erteilt: Angelika Ribler ( ARibler(at)sportjugend-hessen(dot)de )