Redaktionsgespräch | 20 Interview Sportgerichtsbarkeit: Sportrichter aus Leidenschaft Wenn es nicht nur um ein Trikotziehen im Strafraum geht, sondern um gravie- rendere Fälle, die durch den Schiedsrichter schriftlich festgehalten werden, schreiten die Kreissportgerichte ein. In nächster Instanz ist das Verbandsgericht gefragt. Dessen Vorsitzender Andreas Dietzel, Jerome Schmidt-Strunk und der hauptamtliche Rechtsreferent Tim Stehl standen im Redaktionsgespräch mit HFV-Referent Öff entlichkeitsarbeit Matthias Gast Rede und Antwort. Herr Dietzel, Sie sind auf der Zielgera- den Ihrer ersten Amtsperiode. Wenn Sie auf diese Zeit zurückschauen: Was fällt Ihnen als Erstes ein? Dietzel: Wir hatten im Verbandsgericht eine ganze Menge zu tun, insbesondere, was die Berufungsverfahren anbelangt. Das hat sich bei knapp 50 Verfahren im Jahr stabilisiert, inklusive der Verfahren gegen Verbandsfunktionäre. Wir haben einige Schulungen gemacht und wich- tige Dinge vorantreiben können, insbe- sondere die Urteilsdatenbank, die lan- ge im Gespräch war und jetzt in den Echtbetrieb gegangen ist. Wir haben eine ganze Reihe von Kennzahlen ein- geführt, um eine Datenbasis zu entwi- ckeln, wo die Sportgerichtsbarkeit des HFV steht und sich hin entwickelt. Hat die erste Periode Ihren Vorstellun- gen entsprochen? Dietzel: Ich war ja zuvor schon fünf Jah- re stellvertretender Vorsitzender des Verbandsgerichtes, so dass ich wusste, was bei der Übernahme der Geschäfte auf mich zukam. Werden Sie sich im Juni zur Wieder- wahl stellen? Dietzel: Wir haben das besprochen und ich werde für die nächste Wahlperiode zur Verfügung stehen. Welche Aufgaben werden Sie zukünf- tig hauptsächlich beschäftigen? Dietzel: Schwerpunktmäßig steht natür- lich die Abarbeitung der Berufungsver- fahren an. Wir müssen uns dafür qua- litativ gut aufstellen, weil die Vereine zunehmend häufi ger anwaltlich vertre- ten werden, das erfordert eine gewis- se Qualität des Verbandsgerichts. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Schulung der Sportrichter im HFV und – wenn der Verbandstag das mitträgt – wer- den wir mit dem HFV-Sportgericht ein neues Sportgericht bekommen sowie eine neue Vertretungsstruktur mit Ver- bandsanwalt. Da gilt es, inhaltliche Vor- bereitungen zu treff en, dann werden wir gut aufgestellt und vorbereitet sein. Für was wäre das HFV-Sportgericht zu- ständig? Dietzel: Es sollte sich mit Verfahren be- schäftigen, die das öff entliche Interes- se wecken, die eine gewisse Schwere in der Deliktstruktur erreichen, zum Bei- spiel Rassismus, Diskriminierung, Ge- walt gegen Schiedsrichter, Spielabbrü- che. Alles, was medial sehr aufschlägt und eine fundierte juristische Bearbei- tung verlangt. In Baden gibt es schon eine solche Kammer, die sehr gute Er- folge vorweisen kann. Gerade in die- sen Fällen sind die Betroff enen in der Regel anwaltlich vertreten, so dass eine gewisse Professionalität in der Sport- gerichtsbarkeit notwendig ist. Die Vor- schläge sind bereits durch das Prä- sidium gegangen und wurden vom Verbandsvorstand abgesegnet. Herr Schmidt-Strunk, wie sind Sie als jüngstes Mitglied zum Verbandsge- richt gekommen? Schmidt-Strunk: Ich wurde Anfang letz- ten Jahres vom stellvertretenden Vor- sitzenden Hans-Dieter Angermaier im Zuge einer Sitzung im Kreissportge- richt Limburg-Weilburg, wo ich bis da- hin drei Jahre tätig war, angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, im Ver- bandsgericht mitzuwirken. Da muss- te ich nur kurz überlegen und habe es im privaten Umfeld besprochen. Es hat mich sehr gefreut, die Anfrage zu be- kommen. Ich freue mich, seit mittler- weile einem Jahr dabei zu sein. Was ist reizvoll an der Tätigkeit? Schmidt-Strunk: Es ist eine tolle Sym- biose zwischen meiner großen Lei- denschaft Fußball einerseits und dem Hauptberuf der Juristerei andererseits. Nach der Tätigkeit für das Kreissport- gericht war das der nächste Schritt für mich. Im Verbandsgericht geht es noch ein Stück weit zielstrebiger voran. Man kann im Team gut strukturiert zusam- men arbeiten. Das ist eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Was hat Sie bisher besonders gefreut? Schmidt-Strunk: Positiv hervorheben möchte ich, dass ich von Tag eins so auf- genommen wurde, als sei ich langjäh- riges und gleichwertiges Familienmit- glied in dieser Gruppe. Jede Meinung wird ernst genommen und man disku- tiert auf einem qualitativ sehr hochwer- tigen Level, was mich freut. Die Team- arbeit wird großgeschrieben und auf alle Schultern verteilt. Was ist das Verbandsgericht genau und welche Aufgabe hat es? Schmidt-Strunk: Das Verbandsgericht kümmert sich in erster Linie um Be- rufungsverfahren, das heißt, das Ver- bandsgericht ist in der zweiten Instanz tätig und hat damit eine „Überprü- fungsfunktion“ mit Blick auf die in erster Instanz gesprochenen Urteile der jeweiligen Kreissportgerichte. Die Ver- fahren werden dabei nicht überprüft, sondern komplett neu aufgerollt. Im Unterschied zum Kreissportgericht sind wir im Verbandsgericht – unabhän- gig von mündlicher oder schriftlicher Verhandlung – grundsätzlich in voller Kammerbesetzung mit drei Personen aktiv und versuchen, so gut es geht und angemessen Recht zu sprechen. Herr Stehl, Sie sind für die Sportge- richtsbarkeit hauptamtlich in der Ge- schäftsstelle des HFV tätig. Was ist da- bei Ihre Aufgabe? Stehl: Im Bereich der Sportgerichtsbar- keit bin ich hauptsächlich unterstüt- zend tätig. Ich versuche, Herrn Dietzel den Rücken frei zu halten. Alle Anfra- gen der Sportrichter und Sportgerichte sollen bei mir eingehen. Ich fi ltere und bearbeite diese und halte Rücksprache mit dem Verbandsgericht und schaue mir die Probleme an, die es zu klären gilt. Auf der anderen Seite bin ich auch An- sprechpartner für die Vereine, wenn diese Fragen zu Verfahren oder Verfah- rensabläufen haben. Mittlerweile gibt es außerhalb der Sportgerichtsbarkeit immer wieder Fragen zum Spielbetrieb, die auch rechtlich beleuchtet werden, zum Beispiel im Hinblick auf Einsatz eines Spielers. Zudem bereite ich Qualifi zierungsmaß- nahmen vor und führe diese in Verbin- dung mit dem Verbandsgericht durch. Welche Herausforderungen lauern bei Ihrer Tätigkeit? HESSEN-FUSSBALL 1-2/2020