Redaktionsgespräch | 20 das Risiko einer schweren Corona-Er- krankung bzw. eines Todes durch Co- vid-19 bei Erwachsenen stark reduziert. Daher gilt mein Appell erneut der Poli- tik, die Förderung körperlicher Aktivi- tät gerade zu Pandemiezeiten endlich in den Fokus zu rücken, statt komplett brach zu legen. Welche körperlichen Auswirkungen machen sich bei Kindern und Jugend- lichen schon jetzt bemerkbar? Defi nitiv die soziale Verarmung. Kon- takte, die Kinder sonst im Sportver- ein geknüpft haben, werden derzeit in eine digitale Welt verlagert, während die rein körperliche Welt verloren geht. Damit einher geht die geistige Entwick- lung. Wenn beispielsweise nur in Fami- lien gelernt, gearbeitet und gelebt wird, gehen kindliche Prozesse, die üblicher- weise mit Gleichaltrigen erlebt werden, verloren. Des Weiteren entstehen Ag- gressivitätspotenziale, die sich aus dem ständigen Aufeinandersitzen zu Hau- se ergeben und normalerweise ideal durch Sport abgebaut werden kön- nen. Natürlich leidet auch die gesamte Emotionalität: Freude, spielen, lachen, gewinnen. Das fehlt den Kindern un- gemein und genau diese Erfahrungen müssen sie im Kindesalter machen. Viele Eltern berichten von traurigen Kindern, denen Ausgleich, Freun- de und Spaß im Leben fehlen, die der Sport ihnen sonst gegeben hat. Klin- geln bei Ihnen als Experte die Alarm- glocken, wenn sie sowas hören? Meine Alarmglocken schrillen schon ganz lange. Ich habe immer erkannt, dass Bewegung eben deutlich mehr ist und das Ansteckungsrisiko bei organi- sierter Bewegung, wie es im Sportver- ein super stattfi nden kann, gegen null tendiert. Was wir Kindern und Jugend- lichen aufbürden und welche Entwick- lungsschritte ihnen dadurch fehlen, ist besorgniserregend. Ich höre von vielen Eltern, wie sehr ihre Kinder die derzei- tige Situation belastet. Mit der Schlie- ßung der Sportstätten bürden wir den jungen Menschen eine große Last auf, die sie später ausbaden werden. Dem- entsprechend sollten die Alarmglocken in der ganzen Nation schrillen. Welche Auswirkungen beobachten Sie in ihrem Umfeld, seit die Sportanstal- ten dicht sind? Ich bekomme tagtäglich Nachrichten, in denen sich viele Menschen Gedan- ken machen, um endlich wieder spielen zu können. Sie haben Strategien und Sporthochschul-Professor Ingo Froböse: Der renommierte Sport- und Präventionsexperte Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln warnt vor den drastischen Folgen der Sport- einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Vor allem Kinder und Jugendli- che sind von der Schließung der Sportstätten betroff en, weitreichende Folgen sind bereits jetzt zu erkennen. Im Interview spricht Froböse darüber, was die Politik sofort ändern muss – und wie ihm eine neue Studie große Hoff nung auf eine baldige Rückkehr des Sports macht. Herr Froböse, was bedeutet die aktuel- le Situation für den Sport? Prof. Dr. Ingo Froböse: Ich fi nde es höchst problematisch, dass der Sport, der sonst immer mit großer gesund- heitlicher Relevanz verbunden wurde, aktuell in eine Ecke gedrängt wird. Die Politik sagt, es sei höchst gefährlich, in der aktuellen Situation Sport zu treiben. Dadurch leidet der Sport unter einem Image- und Attraktivitätsverlust. Das macht mir große Sorge. Vor allem, weil das mit in die Familie hineingetragen und der Sport hier nun völlig anders betrachtet wird. Diese Sportabstinenz führt wiederum dazu, dass sich Kinder andere Beschäftigungen suchen. Kinder müssen spielen, doch die Spiele fi nden dank der Pandemie nicht mehr körper- lich, sondern vielmehr digital statt. Der Lockdown wurde beschlossen, um die Gesundheit zu schützen. Wenn man sich Ihre Ausführungen anhört, macht es eher den Eindruck, dass wir auf den Sport bezogen genau das Gegenteil bewirken. Die Zahlen von gesundheitlichen Be- einträchtigungen, die aus Nichtaktivität in den letzten Jahren immer größer ge- worden sind, sind schockierend. Schau- en wir auf die „Diabetes-Pandemie“ hier in Deutschland: Täglich sterben bundesweit ca. 300 Menschen an den Folgen von Diabetes Typ 2. Diabetes ist eine klassische lebensstilbedingte Erkrankung. Dazu kommen Bluthoch- druck, Übergewicht usw. – Erkrankun- gen, die sich hierzulande immer stärker verbreiten. Das ist für mich als Sport- und Präventionsexperte erschreckend, denn hier ist eine viel größere Pande- mie unterwegs als die, die wir gerade bekämpfen. Wir erleben eine Bewe- gungsmangel-Pandemie mit gravie- renden Folgen. Das wird unser Gesund- heitssystem in den kommenden Jahren komplett überlasten. Das heißt, wir ver- schärfen aktuell mit der vorherrschen- den Pandemie akut andere chronische Erkrankungen. Beeinfl usst regelmäßige Bewegung das Risiko, eine schwere Corona-Infek- tion zu erleiden? Das wurde lange nur vermutet, jetzt ist es aber bestätigt worden. Eine neue US- Studie belegt, dass regelmäßiger Sport HESSEN-FUSSBALL 5/2021