21 | Redaktionsgespräch Aus Jugendsicht ist es natürlich schade, aber das ist der Fußball. Wir müssen al- lerdings auch aufpassen, dass wir nicht den Weg für unsere eigenen Talente verschließen, die wir nach wie vor ha- ben. Wie überzeugen Sie die Talente, zur Eintracht zu kommen? Es ist zuerst eine Frage, wo derjenige wohnt. Darüber hinaus versucht je- der, mit seinem Konzept und vielleicht auch mit Menschlichkeit, Persönlich- keit und Überzeugungskraft zu punk- ten. Bei vielen Eltern spielt das eine Rolle, wer am Tisch sitzt und wie man mit den Familien umgeht. Wir stellen unsere Projekte vor. Mainz, Hoff en- heim, Frankfurt – wir spielen alle in der höchsten Liga in der Jugend, in der Bundesliga. Im Rhein-Main-Gebiet ist die Eintracht die Nummer eins, verstärkt durch die Erfolge der Profi s in den letzten zwei, drei Jahren. Wir haben jetzt rund 82.000 Mitglieder. Dieser Sog hilft uns natürlich in der Anwerbung. Wenn die Eintracht in der zweiten Liga spielt, ist es schwieriger, obwohl es für Spieler eigentlich besser ist. Denn Jugendspie- ler kommen in der zweiten Liga eher in die Profi mannschaft. Auf welche Bereiche sollte allgemein ein verstärktes Augenmerk bei der Ju- gendarbeit gelegt werden? Wir haben uns in Deutschland schon prima entwickelt, die deutsche Natio- nalmannschaft ist seit 60 Jahren erfolg- reich, wenn man die letzte Weltmeis- terschaft und vielleicht noch ein, zwei Europameisterschaften außer Acht lässt. Von den vergangenen 20 Turnie- ren waren wir gefühlte 15 im Halbfi nale. Durch die Einführung der Nachwuchs- leistungszentren vor fast 20 Jahren wurde viel mehr Wert auf die individu- elle Ausbildung gelegt. Man hat Spieler produziert wie die neue Generation mit Julian Brandt, Timo Werner und Serge Gnabry: Hochbegabte, schnelle, tech- nisch versierte Spieler. Geschwindigkeit ist das A und O. Da müssen wir schauen, dass wir Jungs fi nden, die sowohl technisch begabt als auch schnell sind. Handlungsschnell, aber auch physisch, das ist für die erste Liga mittlerweile maßgeblich. Ich brau- che schnelle Spieler, die dann noch mit dem Ball umgehen können. Auf dem Talente-Markt ist das ein Hauptkrite- rium bei der Suche. Armin Kraaz im Gespräch mit Christian Streich, Cheftrainer des SC Freiburg. Wer war der beste Spieler, der das Ein- tracht-NLZ in Ihrer Zeit durchlaufen hat? Es ist schwierig zu vergleichen. Wenn man jetzt im Nachhinein schaut, ist Emre Can der erfolgreichste Spieler ge- wesen, der es immerhin geschaff t hat, für Bayern München, Bayer Leverkusen, FC Liverpool und Juventus Turin zu spielen. Viel mehr kann man jetzt nicht erreichen als Fußballer. Nationalspieler zu sein und bei drei großen Vereinen in Deutschland, England und Italien zu spielen, ist schon eine Hausnummer. Er ist leider nach der U15 bei uns weg- gegangen, weil er ein Angebot von Bayern München hatte und wir da nicht mithalten können. Wir waren uns auch immer sicher, dass es Spieler wie Marc-Oliver Kempf, Marc Stendera und Luca Waldschmidt in den Profi bereich schaff en. Sonny Kittel spielt in Hamburg gut, Aymen Barkok hat letztes Jahr in Düsseldorf viele Spie- le gemacht. Was uns fehlt, ist der A-Na- tionalspieler, den hätten wir natürlich gerne gehabt. Niklas Süle kommt auch von hier. Er war in der Eintracht-Jugend, bis er ins Internat wollte und wir leider noch keines hatten. Ist Ihr ungewöhnlicher Weg mit dem frühen Karriereende ein Thema bei den jungen Spielern? Das ist kein Thema bei den jungen Spielern. Ich habe ja auch danach noch in der dritten Liga bei Rot-Weiß Frank- furt, bis ich 30 war, weitergespielt. Das erzähle ich aber oft, wenn es mit El- tern und Familie um die Schule und Ausbildung geht. Wir haben das Ziel, dass jeder Spieler seinen bestmögli- chen Schulabschluss machen kann. In den Gesprächen mit den Eltern, gera- de wenn es um Internatsspieler geht, legen wir großen Wert darauf, dass sie merken, dass wir uns darum kümmern. Dann erzähle ich auch ab und zu meine Geschichte, dass ich selbst mein Abitur hier in Frankfurt gemacht habe, obwohl ich schon eineinhalb Jahre erste Liga gespielt habe. Die Väter der Spieler sind mittlerweile jünger als ich. Die kennen mich viel- leicht noch aus der Zeitung, aber die Jungs schon gar nicht. Daher schleusen wir jeden Neuzugang, jeden Spieler, Trainer, jeden, der bei uns im Sommer neu anfängt, ins Eintracht Museum, um ein bisschen Historie aufzusaugen. Dann erfahren sie einige Grundzüge, was die Eintracht bedeutet. War Ihr Weg so geplant? Es hat sich bei mir immer alles entwi- ckelt. Es war mir damals wichtig, mein Abitur zu machen und meine Eltern waren sehr hinterher. Es hat mir später auch viel weitergeholfen. Ich wollte im- mer Fußballer werden und hatte keinen Plan B. Während meiner Profi zeit habe ich zum Beispiel beim „kicker sport- magazin“ ein Praktikum gemacht und sonntags geschrieben. Ich habe die Oberliga Hessen beobachtet und dar- über kleine Spielberichte geschrieben. Das hat mir Spaß gemacht. Als ich mit dem Trainer nicht so gut klar- kam und weniger gespielt habe, bin ich zu Rot-Weiß Frankfurt gegangen und habe gleichzeitig eine Lehre in einer Werbeagentur gemacht, die mir dann später auch wiederum weitergeholfen hat. Meine Eltern hatten damals zwei Gast- stätten in Sachsenhausen. Nachdem sie sich zur Ruhe gesetzt haben und nach Spanien gezogen sind, habe ich für HESSEN-FUSSBALL 10/2019