Interview Carsten Well: „Kinder stehen im Mittelpunkt“

19. August 2022 · Top-News · von: mag

Zur Einführung der neuen Spielformen im Kinderfußball hat der HESSEN-FUSSBALL mit Carsten Well (Vorsitzender des Verbandsjugendausschusses) gesprochen.

Foto: Gast

Was halten Sie von der Einführung der neuen Spielformen im Kinderfußball?
Ich begrüße die neuen Spielformen sehr, der HFV treibt dieses Thema bereits seit dem Jahr 2018 voran. Die Einführung ist überfällig, da diese sowohl kurz- als auch langfristig den Jugendspielerinnen und -spielern zugutekommen werden. Zur kommenden Saison 2022/2023 erfolgt der nächste große Schritt: Es gibt ein hessenweit flächendeckendes Angebot im Kinderfußball und bei den G-Junioren sogar die Ablösung der alten Fair-Play-Liga zugunsten der kindgerechten neuen Wettbewerbsformen im drei gegen drei auf vier Minitore. Auch wenn es am Anfang ungewohnt sein könnte und eben nicht 1:1 so aussieht wie der Bundesligafußball im Fernsehen, werden die Kinder dabei Spaß haben und fußballerisch davon profitieren.

Was ist für Sie der entscheidende Vorteil der neuen Spielformen?

Die Kinder stehen im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns. Jedes einzelne Kind ist häufiger am Ball, das ist der entscheidende Punkt. Viele Kinder verlieren schnell die Lust, wenn sie selten an den Ball kommen und nicht in das Spiel mit einbezogen werden. Auf diese Weise ist aber jeder Junge und jedes Mädchen vollständig integriert und häufig am Ball. Es sind kind- und altersgerechte Wettbewerbsformen, die auf den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes Rücksicht nehmen.

Was bedeutet das für die Ausbildung der jungen Nachwuchskräfte? Hat zum Beispiel fehlende Praxis als Torhüter oder im Kopfballspiel oder das Spiel auf vier Tore negative Auswirkungen?
Die Kinder bekommen Wettbewerbsformen, die sie für die Entwicklung brauchen, die sie auch wollen und können. Für kommende Torhüter sind diese Spielformen sogar förderlich, weil die Kinder bei Reizen sehr schnell lernen können. Damit kann sich die Nervenleitgeschwindigkeit sehr gut entwickeln. Ein späterer Torwart, der im Kinderfußball im drei gegen drei oder vier gegen vier gespielt hat, hat somit sehr gute Voraussetzungen für sein Reaktionsspiel. Zudem ist es auch für Torhüter sinnvoll, sich balltechnische Fähigkeiten als Feldspieler anzueignen, wie das moderne Torhüterspiel demonstriert. Das Kopfballspiel hat im Kinderfußball ohnehin noch keinen Platz. In anderen Ländern wie England ist es im Kinderbereich gänzlich verboten, Kopfbälle im Training durchzuführen. Generell führt das Spiel mit wenigen Spieler*innen und kleinem Spielfeld auf vier Tore zu deutlich mehr Ballkontakten, mehr Torschüssen und mehr Toren. Auch die Zahl der gelungenen Pässe ist höher als im herkömmlichen sechs gegen sechs bzw. sieben gegen sieben.

Was entgegnen Sie Kritikern, die dadurch den „echten Fußball“ bedroht sehen?
Wir wollen ja den „echten Fußball“. Aber doch bitte in den Entwicklungsschritten, die ein Kind überhaupt leisten kann. Wir gehen also mit den Kindern einen Weg zum „echten Fußball“. Wir wollen doch die Kinder für den Fußball begeistern und nicht frustrieren, um Motive der Erwachsenen zu befriedigen! Ein Spiel auf vier Tore beispielsweise öffnet den Horizont, eine sinnvolle Spielverlagerung durchzuführen. Man sollte den Kinderfußball aus der Sicht der Kinder betrachten und nicht aus dem Blickwinkel der Erwachsenen.

Welchen Tipp geben Sie Vereinen, denen die Anschaffung der Minitore zu teuer erscheint?

Zunächst ist dies eine gute Investition für deren Kinder. Ein Set für den Alltag an Flex-Minitoren ist bei den gängigen Anbietern für 25-30 Euro zu haben. Alleine aus den Einnahmen aus einem Kinderfußball-Festival bzw. Spielenachmittag lassen sich so schon mehrere Sets finanzieren. Auf Anfrage sind die Gäste einer solchen Veranstaltung bestimmt gerne bereit, pro Team ein Set an Flextoren mitzubringen, so dass es ausreicht, wenn man für das Training genügend Minitore angeschafft hat.

Welche Vorteile hat der Erwerb des Kindertrainer-Zertifikats?
Häufig übernehmen Elternteile ohne Vorkenntnisse die Trainings- und Betreuungsarbeit der Kinder. Dabei hilft ein gewisses gesichertes Niveau als zertifizierter Kindertrainer natürlich enorm. Das Kindertrainer-Zertifikat ist dafür der ideale Einstieg und erleichtert die Arbeit von Trainierenden und Betreuenden. Damit bekommt man mit relativ geringem zeitlichen Aufwand nach neuesten Lehrmethoden ein sehr gutes Rüstzeug für die Trainingsarbeit mit Kindern an die Hand. Außerdem ist eine hohe Anzahl an zertifizierten Übungsleiter*innen eine hervorragende Visitenkarte für das Image eines Vereins.


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