Vor geraumer Zeit begingen wir das Jubiläum 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland und natürlich damit auch in Hessen. Die ursprünglich geplante größere Feier im Rahmen einer Jubiläumsveranstaltung fiel leider dem Coronavirus zum Opfer.
Doch dieses Jubiläum ist ein derart erfreulicher Meilenstein, der nicht unbeachtet unter den Tisch fallen sollte. Daher haben sich fleißige ehrenamtliche Kräfte – allen voran Helga Altvater und Ellen Berghöfer - eingehend und sehr engagiert mit Funktionär*innen, Spielerinnen und Ereignissen beschäftigt, die in diesen fünf Jahrzehnten den Frauenfußball geprägt haben.
Heraus gekommen ist ein tolles Nachschlagewerk mit interessanten Geschichten rund um den Frauenfußball in Hessen, selbstverständlich auch mit Auswirkungen auf den Frauenfußball in ganz Deutschland. So kann man wunderbar in die schwierigen Anfänge und bejubelten Erfolge eintauchen und die entscheidenden Köpfe näher kennenlernen. Unter diesem Link kann das Werk 19,90 Euro plus Versandkosten bestellt werden.
Hier ein Auszug:
In Deutschland galt Frauenfußball lange Zeit als „moralisch verwerflich“. In anderen europäischen Ländern wurde schon während des ersten Weltkrieges und in den 20er Jahren Fußball gespielt. Trotz des Widerstandes organisierten 1922 Studentinnen erste Fußballspiele und als Höhepunkt die erste deutsche Hochschulfußballmeisterschaft für Frauen.
1930 suchte eine Frankfurter Metzgerstocher per Zeitungsinserat Interessierte, um eine Fußballmannschaft zu gründen. Die fußballbegeisterte Lotte Specht schaffte es, dass in Frankfurt am Main der 1. Deutschen Damenfußballclub (1. DDFC) ins Leben gerufen wurde. Lotte Specht hatte so viel Zulauf, dass sie sogar eine 2. Mannschaft hätte bilden können. Jedoch musste der Verein nach einem Jahr wegen vieler Widerstände wieder aufgelöst werden.
Im Nationalsozialismus sollten Frauen eher die Mutterrolle ausfüllen und keinen männlich geprägten Sport ausüben. Am 5. März 1936 stand im DFB-Fußball-Pressedienst: „Es gibt Sportarten, in denen wir die Frauen nicht als Sportausübende treffen, weil ihre Eigenarten nicht dem Wesen der Frau entsprechen. Zu diesen Sportarten gehört auch der Fußball.“ Fußballspielende Frauen wurden in allen Zeiten mitleidig belächelt, als unweiblich bezeichnet. DFB-Bundestrainer Sepp Herberger kommentierte 1954: „Fußball ist keine Sportart, die für Frauen geeignet ist, eben schon deshalb, weil Fußball ein Kampfsport ist.“
Nachdem Frauenfußball immer wieder aufflammte, beschloss 1955 der DFB, dem einen Riegel vorzuschieben und sprach ein offizielles Verbot aus. Die Begründung: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand. Den Vereinen ist es nicht gestattet, Frauenfußballabteilungen zu gründen oder aufzunehmen. Vereine dürfen Frauenmannschaften keinen Platz zur Verfügung stellen. Schieds- und Linienrichtern ist es untersagt, Frauenfußballspiel zu leiten.“
Die Frauen hatten ihren Männern immer nur beim Fußball zugeschaut. Jetzt wollten sie auch selbst mal kicken – nur so zum Spaß. Am 6. Juni 1966 gründete sich im Frankfurter Gallusviertel die Sportgemeinschaft Franken 66. Trikots wurden in Eigenleistung organisiert. Zunächst wurde auf Kleinfeld mit sechs Feldspielerinnen und Torfrau gespielt. Einmal die Woche war Training angesetzt. Unter anderem für die sportliche Heidi Herbst. Sie war Mitte Zwanzig und somit eine Frau der ersten Stunde. Andere Mitspielerinnen waren sogar schon Mütter und alle wollten nur ihren Spaß haben.
Einen Gegner für das erste Spiel findet man bei einem befreundeten Verein: die Damen der Frankfurt-Niederräder Schützengesellschaft „Oberst Schiel“. Am 30. Juni 1968 fand das erste Match in der Hahnstraße statt, Spielzeit zweimal 25 Minuten. Mit 3:0 besiegten die Franken 66 die Damen von Oberst Schiel. Da Franken 66 dem Betriebsportverband Hessen e.V. angeschlossen waren, gab es keine Probleme bei der Platz- und Schiedsrichterfindung. 1970 organisierten sie ihr 2. Damen-Hallen-Fußball-Turnier mit zwölf Mannschaften, darunter FSV Frankfurt, 1. FC Rödelheim, SG Westend und SKG Bad Homburg.
NSG Oberst Schiel (Niederräder Schützengesellschaft „Oberst Schiel“ 1902 e.V.) begann seinen erfolgreichen Weg im organisierten Fußballbereich. Trainer Ferdinand „Ferdi“ Stang führte die Damen zur Spitze im deutschen Frauenfußball. Das Besondere: „Oberst Schiel“ war kein ausgesprochener Fußball-Verein, die Frauen-Mannschaft rekrutierte sich vornehmlich aus einem traditionsreichen Schützenverein. Die Männer in diesem Schützenverein spielten in ihrer Freizeit gelegentlich Fußball.
Ferdi Stang erinnert sich auch: „Es war wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der viele Wellen schlägt. Beim Frauen-Fußball wuchs die Zahl der Mannschaften kontinuierlich. Ganz automatisch wurde ‚Oberst Schiel‘ auch zum Vorreiter im Hessischen Fußball-Verband.“ Die erste Meisterschaft gewann das Team 1974 gegen Kickers Offenbach.
In den Anfangsjahren des Frauen-Fußballs in Hessen wurde das Team von „Oberst Schiel“ als das erfolgreichste in ganz Hessen gefeiert. „Oberst Schiel“ war Kult. Ferdi Stang war voll eingebunden in seinem Familienbetrieb im Steinmetzbüro, dazu ein Fußballer mit Leib und Seele, aber eines Tages veränderte sich sein Leben: die Frauen der Fußballmänner der Schützengesellschaft „Oberst Schiel“ wollten es nun auch mal den Männern zeigen und überredeten Ferdi, ihr Trainer zu sein. Nur einmal so zur Freude. Es sollte nicht bei dem einen Mal bleiben. Der Ehrgeiz der Spielerinnen war erwacht und immer mehr gute Sportlerinnen wie Regina Senkler, Monika Staab und Bärbel Wohlleben schlossen sich dem Verein an. 1977 standen sie im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft und verloren jedoch äußerst knapp gegen SSG 909 Bergisch Gladbach. Das Hinspiel in Bergisch Gladbach endete 0:0, das Rückspiel auf dem Sportplatz Sandhöfer Wiesen in Frankfurt am Main gewannen die Gäste mit 1:0.
50 Jahre Frauenfußball: Offizielle Buch-Vorstellung am 1. September im Eintracht Museum
30. August 2022
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