21 | Redaktionsgespräch Wann und wie begann Deine Schiedsrichterkarriere? mich auf die Schiedsrichtertätigkeit zu konzentrieren, fi el es mir so leichter. Ich habe bei der TSG Kastel 46 Fußball gespielt, in unserem Verein gab es re- gelmäßig ein Jugendturnier, bei dem ich schon als Spieler gerne mitgespielt habe. Als ich zwölf Jahre alt war, wurde ich spontan gefragt, ob ich als Schieds- richter einspringen könnte. Ich hatte große Lust und sagte spontan zu. Das Pfeifen der Spiele hat mir so viel Spaß gemacht, dass mich direkt im Anschluss ein sehr erfahrener Schiedsrichter unse- res Vereins gefragt hat, ob ich an einem Schiedsrichter-Lehrgang teilnehmen möchte. Auch da habe ich spontan zu- gesagt, weil ich von dem Tag begeis- tert war. Mir hat es auch in diesem Alter schon super viel Freude bereitet, Ver- antwortung zu übernehmen und auf dem Platz die Spiele zu leiten. So durfte ich den Schein ausnahmsweise schon mit 13 Jahren machen und habe ange- fangen, in der Jugend zu pfeifen. Die Schiedsrichterei hat mich von Anfang an gepackt. Ich kann mir vorstellen, dass viele Ju- gendliche anders reagiert hätten … Ja, mit 18 Jahren hätte ich es vielleicht auch abgelehnt (lacht). Aber als zwölf- jähriger Bub war ich gleich Feuer und Flamme. Als Spieler war ich übrigens sehr aufbrausend und nicht der Ein- fachste für Schiedsrichter. Das war schon in der E-Jugend so. Ich war wahr- scheinlich das einzige Kind auf der gan- zen Anlage, das von seinem Vater als Schiedsrichter wegen „Meckerns“ eine Zeitstrafe bekommen hat (lacht). Viel- leicht war deshalb auch das Interesse bereits in jungen Jahren da, die andere Seite mal kennenzulernen. Kannst Du Dich an Dein erstes Spiel als Schiedsrichter erinnern? Das war das D-Jugend-Spiel Schwarz- Weiß Wiesbaden gegen Kastel 06, das werde ich nicht vergessen. Auch weil Klaus Welz, der Vater von Tobias Welz, zu diesem Spiel kam und mich beglei- tet und mir Tipps gegeben hat. Es hat mich von Anfang so gepackt, dass ich dabeigeblieben bin und so viel wie möglich gepfi ff en habe. Dass ich paral- lel noch Fußball gespielt habe, war an- fangs auch kein Problem. Ab der B-Ju- gend war es nicht mehr so einfach und in der A-Jugend wurde mir die Entschei- dung quasi abgenommen, weil ich über einen Vereinswechsel nachdachte, aber dort eine vollkommen andere Position wie gewohnt spielen sollte. Da ich da- mals ohnehin schon überlegt habe, Spielst Du jetzt selbst noch gerne Fußball? Ich habe lange noch sehr gerne ge- spielt, bis ich bei uns in der zweiten Mannschaft einmal böse umgetreten wurde und mir eine Wadenprellung zu- zog. Daraufhin habe ich nicht mehr in der zweiten Mannschaft gespielt, weil mir das Verletzungsrisiko zu hoch war. Das allerletzte Mal, als ich gekickt habe, war während eines Schiedsrichterlehr- gangs. Bei diesem Mal wurde ich von einem Kollegen von den Socken gefegt und dann war es vorbei, das wollte ich mir nicht mehr antun (lacht)! Mal schauen, vielleicht werde ich ir- gendwann nach meiner Schiedsrichter- karriere auch mal wieder Fußball spie- len. Später hast Du Dich auf die Tätigkeit eines Assistenten spezialisiert, wieso dieser Schritt? Ich war damals Zweitliga-Assistent und Regionalliga-Schiedsrichter und hatte in beiden Bereichen ein sehr gutes Jahr. Ich wurde damals nach meiner Präfe- renz gefragt und wenn man die Chan- ce hat, in die Bundesliga zu kommen, überlegt man nicht lange. Das war eine einmalige Chance. Man weiß, dass der Weg als Schiedsrichter unglaublich lang wäre, selbst wenn man in der 3. Liga ist. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich habe beides unglaublich gerne ge- macht, aber es war eine rationale Ent- scheidung, auch wenn sie mir schwer- fi el. Rückblickend betrachtet war das eine sehr gute Entscheidung, weil ich zwei Jahre später als Assistent auf die FIFA-Liste kam. Wie hoch ist Dein zeitlicher Aufwand, den Du als Unparteiischer betreibst und wie lässt sich das mit einem Be- ruf vereinbaren? Der zeitliche Aufwand ist durch die FIFA-Tätigkeit sehr hoch. Und zwar so hoch, dass ich meinem eigentlichen Job als Maschinenbauingenieur nicht nachgehen kann, da dies im Ingenieur- bereich sehr schwer kombinierbar ist. Es ist nicht unmöglich, aber zu 100 Pro- zent würde es auf keinen Fall funktio- nieren. Selbst bei einer 50-prozentigen Tätigkeit bräuchte man einen unfassbar kulanten Chef, der unglaublich fußball- affi n ist. Aber auch in diesem Fall könn- te die Partnerin, Familie und Freunde darunter leiden. Ich fi nde man kann einfach nicht alles hundertprozentig machen. Zur Schiedsrichterei gehören auch Training und der wichtige Punkt der Regeneration. Die vielen Reisen ge- hen auch an die Substanz. Wenn man das über sehr viele Jahre auf einem ho- hen Niveau durchführen möchte, ge- hört auch dazu, mal in seinen Körper reinzuhören und nicht durchgängig am Anschlag zu sein. Daher habe ich ganz bewusst die Entscheidung getrof- fen, dass ich mich auf die Fußballtätig- keit konzentriere und dort 100 Prozent gebe. Arbeit ist ein wichtiger Teil des Lebens, aber nicht der einzige. Für mich gehört eine sehr gute Work-Life-Balan- ce dazu. Was rätst Du jungen Schiedsrichtern, die gerne eine ähnliche Karriere ein- schlagen möchten? Als allerwichtigsten Tipp würde ich ge- ben: Fokussiere Dich parallel zu Deiner Schiedsrichtertätigkeit primär auf Dei- nen Bildungsweg! So toll das in diesen Bereichen – in denen ich jetzt ange- kommen bin – ist, so rar sind auch die Plätze. Und wenn man sich nur auf Fuß- ball fokussiert, ist die ganz große Ge- fahr da, dass man am Ende mit leeren Händen dasteht. Eine professionelle Herangehensweise ist wichtig und dass man sehr viel investiert, aber auch für mich war es ganz lange nur ein Hobby, das mir sehr am Herzen lag. Was macht einen guten Schiedsrich- ter – neben richtigen Entscheidun- gen – aus? Einen guten Schiedsrichter macht aus, wenn er zu jeder Zeit einen kühlen Kopf bewahrt, sich nicht emotionalisie- ren lässt, ein Gespür für Spieler, die Si- tuation und deren Wichtigkeit hat und das Spiel in einer Balance hält, sodass man nicht im Mittelpunkt des Gesche- hens steht. Was jetzt nicht heißt, dass ein Schiedsrichter nicht wichtige und unpopuläre Entscheidungen treff en muss. Wenn eine Entscheidung klar ist, muss diese auch so getroff en werden. Aber ein Schiedsrichter, der ein Gespür für die Situation hat und immer noch abgeklärt ist, hat ein ganz hohes Stan- ding bei den Spielern und Offi ziellen. Der Schiedsrichter steht in diesen Mo- menten, in der eine Entscheidung ge- troff en werden muss oder auch schon getroff en wurde, unter einem hohen Druck. Als Assistent betrachtet man das aus einem anderen Blickwinkel und hat eventuell die Möglichkeit, dem Schieds- richter zusätzliches Feedback zu geben. Aber das „emotionalisieren lassen“ pas- siert auch den Besten einmal. HESSEN-FUSSBALL 9/2022