Gesellschaftliche Verantwortung | 14 „Ich kann mich noch gut erinnern, als ich Mohammed beim begleiteten Aus- gang zum Probetraining beim TSV Elms- hausen mitgenommen habe“, erinnert sich Mank. „Er sollte sich umziehen und wurde in die Kabine geschickt. Plötz- lich kam er kreidebleich wieder heraus, als ob er einen Geist gesehen hätte“, so Mank. In der Kabine hatte er den Na- men „Marvin“ auf dessen Kabinenplatz entdeckt. Sein einstiger Freund, ein er- folgreicher Stürmer und Torjäger, war allerdings an diesem Tag nicht beim Training, ebenso wenig dessen Vater. Opfer und Täter in einer Mannschaft Mohammed war als Jugendlicher häu- fi ger Gast im Haus seines Freundes und Klassenkameraden Marvin. Irgendwann reifte der Plan für den bewaff neten Überfall. Fünf Jahre sind nach diesem Einbruch, einigen weiteren schweren Straftaten und seiner Verurteilung ver- gangen. Mohammed war ein wirkliches Fußballtalent, das auch beim Spielen in der JVA herausstach. Aber war es nun überhaupt denkbar, dass Opfer und Tä- ter in einer Mannschaft spielen? Nach Rücksprache mit TSV-Trainer Matthias Rettig konnte dies nur gesche- hen, wenn Marvin und dessen Vater grünes Licht geben würden. „Uns war klar, dass es nur eine Integration von Mohammed in die Mannschaft geben konnte, wenn die Opfer-Familie einver- standen ist. Deshalb musste es vorher auf jeden Fall ein Gespräch geben“, be- tont der 1. Vorsitzende des TSV Elms- hausen, Andreas Ihrig. Aber wäre ein solcher Schritt über- haupt in der Praxis umsetzbar? Denn die kriminelle Tat hatte in Marvins El- ternhaus tiefe Spuren hinterlassen. Ein Gefühl der Verunsicherung und Angst hatte sich breitgemacht, es dauerte eine ganze Zeit, ehe für Marvins Familie wieder halbwegs Normalität einkehr- te. Nach dem ersten Probetraining am Rande des Odenwalds vergingen eini- ge Tage, ehe Mank mit seinem Schütz- ling aus der JVA wieder Gelegenheit hatte, vorbeizukommen. Und diesmal war Marvin, der erst im Zuge der Ermitt- lungen und des Gerichtsverfahrens von der Identität des Einbrechers erfahren hatte, auch dabei. „Ich war bereit, ihm eine zweite Chance zu geben!“ Mohammed wusste, dass es alles an- dere als selbstverständlich sein wür- de, dass Marvin und dessen Familie sei- Die Mannschaft des TSV Elmshausen. TSV Elmshausen erhält Sepp-Herberger-Urkunde: Fußball versöhnt Täter und Opfer In Berlin werden die Sepp-Herberger-Urkunden 2020 verliehen. 13 Preisträger erhalten in den Kategorien Behindertenfußball, Resozialisierung, Schule und Verein, Fußball Digital sowie Sozialwerk Geldpreise in Gesamthöhe von 45.000 Euro. Platz eins in der Kategorie Resozialisierung belegt der TSV Elmshausen aus dem Hessischen Fußball-Verband. Der Journalist Rainer Kalb über die be- sondere Geschichte dahinter: Ein Jugendlicher gerät auf die schiefe Bahn, bricht in das Haus seines Freun- des ein, bedroht den Vater seines Kum- Zusammen erfolgreich: Marvin (li.) und Mohammed. pels mit einer Waff e, wird geschnappt und verurteilt. Im Rahmen einer Reso- zialisierungsmaßnahme soll ihm als be- gleiteter Freigänger das Fußballspielen ermöglicht werden, ein Probetraining wird für das Talent vereinbart. Dort triff t er ausgerechnet seinen Freund wieder, dessen Haus er überfallen hat, entschul- digt sich bei ihm und dessen Vater. Die Opfer verzeihen dem Täter; jetzt spie- len die beiden Freunde wieder zusam- men Fußball beim TSV Elmshausen an der hessischen Bergstraße. Viele werden glauben, so etwas gibt es im wirklichen Leben nicht. Aber es ist wahr, so spielt das Leben. Genau so – in Kurzfassung – hat sich die Geschichte von Mohammed, dem Täter, und Mar- vin, dem Opfer, zugetragen. „Es war ein unglaublicher Zufall“, sagt Christo- pher Mank, der Justizvollzugsbeamte und Sportübungsleiter aus der Justiz- vollzugsanstalt Rockenberg, „niemand wusste davon, dass es zu diesem Zu- sammentreff en kommen würde.“ Die JVA Rockenberg ist eine von 22 Haftan- stalten aus zehn Bundesländern, die an der Resozialisierungsinitiative „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herber- ger-Stiftung teilnimmt. HESSEN-FUSSBALL 4/2020