Davide Ancelotti in Grünberg: „Deutsche Talentförderung ist vorbildlich“

15. Februar 2018 · Top-News · von: Sebastian Sauer

Bodenständig, unaufgeregt, zielstrebig – Eigenschaften, mit denen man Ex-Bayern-Trainer Carlo Ancelotti treffend beschreiben könnte. Doch nicht nur auf ihn treffen sie zu. Als Co-Trainer immer an seiner Seite ist seit einigen Jahren dessen Sohn Davide Ancelotti. Wir hatten kürzlich die Gelegenheit, Davide im Rahmen seiner Hospitation in der Sportschule Grünberg zu interviewen.

HFV-Jugend-Öffentlichkeitsreferent Sebastian Sauer (Mitte) im Gespräch mit Davide Ancelotti (re.) und Dirk Reimöller (li.). Foto: HFV

Verbandssportlehrer Dirk Reimöller nahm den Italiener beim Verbandslehrgang der U16- und U17-Hessenauswahlen für zwei Tage in seine Obhut. Mit beiden haben wir uns über die Ausbildung der Spieler, Talentkriterien und die persönlichen Ziele des 28-Jährigen unterhalten.

Herr Ancelotti, Sie sind im Rahmen ihrer Trainerausbildung zur Hospitation in die Sportschule nach Grünberg gekommen. Wie ist ihr erster Eindruck?
Ancelotti
: Ich bin sehr überrascht über diese Einrichtung. Sportschule, verbandseigene Trainer, DFB-Stützpunkte und Regional- und Landesverbandsauswahlen – all das gibt es in Italien leider nicht. Die deutsche Talentförderung und speziell auch die hessische sind sehr gut organisiert. Hier spielt praktisch jeder talentierte Spieler irgendwann mal vor und wird von einem Verbandstrainer gesichtet. Auch die Qualität der Trainerausbildung ist sehr gut. Das führt zu gut ausgebildeten Trainern und besseren Spielern, was sich an den Erfolgen der Nationalmannschaft gut festmachen lässt.

Wie ist die Nachwuchsförderung in Italien organisiert?
Ancelotti:
Bei uns spielt sich viel in den Vereinen ab. Dort ist die Ausbildung zwar auf einem guten Niveau, aber es gibt nicht die Strukturen wie in Deutschland. Die Sichtung talentierter Spieler findet meist von den Vereinen selbst statt, regionale Auswahlen gibt es nicht. Erst auf nationaler Ebene werden die Talente in den U-Nationalmannschaften zusätzlich gefördert. Wahrscheinlich geht uns dadurch das ein oder andere Talent verloren. Leider steht momentan auch die Nationalmannschaft nicht gut da.
Reimöller: Wieder etwas anders sieht die Organisation in Spanien aus. Hier sind die Trainer der regionalen Auswahlen direkt dem spanischen Fußballverband unterstellt, der die Ausbildung der Trainer aber auch die Auswahl der Talente zentral organisiert und steuert. Die Ebene der Landesverbände, wie es sie in Deutschland gibt, entfällt hier.

Als Co-Trainer waren sie mit Paris Saint-German, Real Madrid und Bayern München schon in drei unterschiedlichen Ligen unterwegs. Was sind denn für sie die wesentlichen Unterschiede gewesen?
Ancelotti:
Auf jeden Fall die Presselandschaft. In Spanien zum Beispiel stehen die Trainer und Spieler unter viel höherem Druck. Ständig wird vor allem bei Misserfolg über sie berichtet. Das setzt die Vereinsfunktionäre ziemlich unter Zugzwang, wenn es zum Beispiel darum geht, ob ein Trainer bleiben soll oder entlassen wird. Von der Spielweise her ist mir in Frankreich die enorme Athletik der Spieler aufgefallen im Gegensatz zu Spanien oder auch Deutschland. Dort sind es vor allem die Spieler mit afrikanischen Wurzeln, die sehr körperbetont spielen und enorm durchsetzungsstark sind, aber auch großes Potenzial haben, wie man aktuell an der Nationalmannschaft sieht.

Stichwort Talent: Was macht aus ihrer Sicht einen talentierten Spieler aus und was sind Eigenschaften, die die besten Spieler der Welt von den anderen unterscheidet?
Ancelotti:
Im Kinder- und frühen Jugendalter ist Talent eher ein Gefühl. Man sieht zwar motorische, technische und koordinative Fähigkeiten, aber der Faktor Psyche, der eine enorme Rolle bei der Entwicklung zum Profi spielt, ist nur sehr schwer zu beurteilen. Bei den absoluten Weltklassespielern kommt eine weitere Eigenschaft hinzu: Christiano Ronaldo zum Beispiel, den ich von meiner Zeit bei Real Madrid kenne, besitzt die Fähigkeit, seine eigenen körperlichen Grenzen zu jedem Zeitpunkt zu kennen. Er ist in der Lage zu differenzieren, wann er für Höchstleistungen bereit ist und kann diese dann auch maximal ausreizen. Nur so ist es ihm aus meiner Sicht möglich, über einen so langen Zeitraum einer der besten Fußballer der Welt zu sein.

Also ist es nicht nur der Trainingsfleiß, der ihn so stark macht?
Ancelotti
: Nein, Ronaldo trainiert zwar viel und schiebt auch mal Extraschichten, aber das machen andere auch. Was ihn so besonders macht ist tatsächlich sein Körpergefühl und die Fähigkeit an seine Leistungsgrenzen zu gehen, ohne zu überdrehen. Viele Profis wollen immer voll am Limit trainieren, kennen aber ihre körperlichen Grenzen nicht und verletzen sich zum Beispiel dadurch häufiger.
Reimöller: Was bei Ronaldo aber auch anderen Talenten, die es bis zu den Profis geschafft haben, dazu kommt, ist aus meiner Sicht der Umgang mit Misserfolg. Gerade ein Spieler, wie Christiano Ronaldo steht nahezu täglich in der Kritik der Öffentlichkeit und unter enormem Druck. Er kann sich aber sehr gut auf seine Leistung und den Fußball fokussieren und Niederlagen wegstecken. Das ist auch ein Talentmerkmal.

Nun interessiert uns natürlich noch ihre persönliche Zukunft. Gibt es bereits Pläne für die Zeit nach dem FC Bayern, für die sie ja noch bis zum Sommer offiziell unter Vertrag stehen?
Ancelotti
: In erster Linie bin ich Co-Trainer meines Vater. Bis zum Sommer können wir keinen neuen Posten annehmen, weil wir ja noch bei den Bayern unter Vertrag stehen. Was danach passiert, steht noch nicht fest. Grundsätzlich kann ich mir aber auch sehr gut ein Engagement als Jugendtrainer vorstellen. Im Jugendfußball ist der Trainer die wichtigste Person. Er ist entscheidend an der Entwicklung seiner Spieler beteiligt und kann viel beeinflussen. Das ist eine reizvolle Aufgabe. Außerdem kann ich im Jugendbereich wertvolle Erfahrungen sammeln. Mein Ziel ist es natürlich, irgendwann Cheftrainer in einer Profiliga zu sein. In welchem Land das sein wird, ist mir zunächst einmal egal.

Herr Reimöller, wie steht es um die U16- und U17-Junioren, die hier am Wochenende ihren Lehrgang absolviert haben?
Reimöller
: Bei den U16-Junioren müssen wir uns derzeit neu organisieren, weil wir, wie in den vergangenen Jahren auch, einige Abgänge zu Vereinen außerhalb unseres Landesverbandes zu verzeichnen hatten. Trotzdem glaube ich, dass die Teams insgesamt auf einem sehr ordentlichen Niveau agieren. Einige der U16-Spieler sind sogar schon für die U17 in der Junioren-Bundesliga aktiv. Das zeugt von einem gewissen Leistungsvermögen.

Und wie haben Sie Davide in seiner Trainerrolle erlebt?
Reimöller
: Was Davide angeht, kann ich sagen, dass sein Besuch für uns eine echte Bereicherung war. Ich habe einen jungen, sympathischen Trainer erlebt. Unsere Jungs hatten die Möglichkeit, mit ihm zu trainieren und so nochmal einen anderen Blickwinkel auf den Fußball zu bekommen. Auf der anderen Seite hat Davide sicher auch einiges von unserer Arbeit mitgenommen und außerdem die Talentförderstruktur näher kennengelernt. Es war also für beide Seiten eine interessante Begegnung.